Kapitel 5 - Renaissance 2.0: Mehr als eine Vision über die Zukunft (3)
- Nemesus
- 15. Juli 2024
- 6 Min. Lesezeit
Ich bin Nemesus und ich weiß, dass ich dir einen fröhlichen Abschluss der Video-Reihe versprochen habe. Also, lass uns zu den letzten Abschnitten übergehen. In ihnen wirst du herausfinden, weshalb ich meine Stimmung anfänglich als heiter beschrieb und wie wir gemeinsam Wolken überwinden können, um uns den Sternen zuzuwenden.
Abstrakt betrachtet, basiert meine Vision aus einer Reihe von Erkenntnissen aus Wissenschaft
und Technik der aktuellen Zeit. Besonders beeinflusst wurde sie von Wissensfragmenten aus
Psychologie, System- und Spieltheorie.
Der Grund weshalb ich diese Video-Reihe thematisch mit kindlichen Impulsen begann, besteht darin, dass wir als Kinder noch eine Ausrichtung oder Orientierung haben, die mehr von unserer Natur als von unserer Kultur geprägt ist. In dem Märchen "Des Kaisers neue Kleider" spiegelt sich das wieder: Die Erwachsenen lassen sich täuschen. Ein Kind jedoch entlarvt die Täuschung, weil es weniger von Kulturmustern geblendet ist.
Für die Entwicklung von Kindern sind Bezugspersonen entscheidend. Und selbstverständlich
trifft das auch auf Erwachsene zu. Letztere neigen nur oftmals dazu, diesen Umstand in der Hektik des Alltages zu "vergessen". In den vorigen Kapiteln haben wir von der hohen Prägungsempfindlichkeit von Kindern gesprochen. Tatsächlich mache ich einige meiner frühkindlichen Erlebnisse dafür verantwortlich, dass ich bestimmte Dinge nie vergaß.
Wie auch immer, ein wichtiges Element meiner Vision ist das Verständnis, dass ein gewisses Maß an Spannung zwischen Menschen, die sich gut verstehen, die Kreativität fördern kann. Wenn du aufmerksam warst, wirst du dich daran erinnern, was ich über Kulturen sagte. Der Grund für die Ähnlichkeit meiner Aussagen besteht im fraktalen Aufbau der Welt. Das Internet, eine Gruppe von Freunden, soziale Netzwerke, Firmen, unser Hirn sind alles dynamische, komplexe Systeme. Kultur spiegelt das Muster unserer kollektiven Intelligenz wider, genau wie deine Wertesysteme und Einstellungen das Muster deiner individuellen Intelligenz abbilden, selbst wenn sie extern beeinflusst wurden.
Man könnte also sagen, dass jeder Mensch selbst als eine eigenständige Kultur betrachtet werden kann, die in übergeordneten Kulturen eingebettet ist. Auf diesen verschiedenen Ebenen von Netzwerken ob kulturelle Gemeinschaften oder Bereiche unseres Gehirns, finden sich ähnliche Mechanismen. Dies wird besonders deutlich, wenn wir uns den Aufbau unseres Gehirns genauer anschauen. Betrachten wir zum Beispiel drei Schlüsselbereiche des Gehirns: den Cortex, das limbische System und die aufsteigend retikulär aktivierende Formation, kurz ARAS. Wenn diese Bereiche gut zusammenarbeiten, erweitert sich unser Möglichkeitsraum für Kreativität enorm.
Stelle dir vor, wie sich drei Freunde treffen, um miteinander über ein Thema zu diskutieren. Der eine übernimmt die Rolle des Creators, der zweite die Rolle des Brokers, der dritte die Rolle des Owners. Der Owner verfügt in unserer kleinen Gruppe über das fundierteste Wissen bezüglich des Themas, während der Broker Kontakte hat, die, bei Bedarf, mehr relevantes Wissen und oder weitere Ressourcen beisteuern könnten. Der Freund in der Rolle des Creators weiß nicht so viel wie unser Owner, ist jedoch unglaublich schnell darin, neue Muster zu bilden. Wenn sich Owner und Creator miteinander austauschen, bekommen wir einen Ideenpool und Lösungsansätze. Im Hirn wird diese Funktion vom Cortex repräsentiert. Tauschen sich Owner und Broker aus, erhältst du Bewertungen (Limbisches System). Und kommunizieren Broker und Creator miteinander, erhalten wir Erregung, wofür in unserem Hirn die Formatio reticularis, die aufsteigend retikulär aktivierende Formation, kurz: ARAS, verantwortlich ist.
In konventionellen sozialen Netzwerken kann man ARAS am ehesten mit Likes, Dislikes und dem, was früher als Retweets bezeichnet wurde, vergleichen. Das limbische System repräsentiert den emotional aufgeladenen Anteil von Beiträgen, während der Cortex den intellektuellen Inhalten dieser Beiträge zuzuordnen ist. Harmonisch und fruchtbar sind die Diskussionen nach meinem Geschmack in konventionellen sozialen Medien jedoch viel zu selten. - Freunde wären die bessere Wahl. - Übrigens gibt es bei Menschen tatsächlich persönliche Vorlieben, bezüglich der Rolle, in der sie sich am wohlsten fühlen. Dies sollte dich aber nicht darin hindern, auch einmal in andere Rollen zu schlüpfen.
Und auch weitere Rollen wären denkbar. So könnte eine spezialisierte Art der Broker eine Funktion übernehmen, die der von Neutronen in Atomen ähnelt. - So, wie Neutronen, die durchweg positiven Protonen zusammenhalten, könnten diese Menschen harmonisierend wirken und verhindern, dass eine Gruppe von Menschen sich soweit aufschaukelt, dass sie, wie in einer Resonanzkatastrophe, auseinander bricht.
Wie bereits angedeutet, lässt sich die Systemtheorie auch auf das Individuum anwenden. Hast du dich jemals unverstanden gefühlt? Die einzigen Menschen, die dich wirklich verstehen können, sind diejenigen, die mindestens genauso komplex sind wie du selbst. Und unabhängig davon, ob du persönliche oder gesellschaftliche Herausforderungen bewältigen willst: Dein Vorhaben wird nur dann gelingen, wenn deine eigene Komplexität mindestens genauso groß ist wie die der Probleme, die du lösen möchtest.
Die gute Nachricht ist, Komplexität lässt sich steigern. Beispielsweise indem du dich mit Freunden triffst, die dynamisch genug sind, um situationsbedingt in die eben vorgestellten Rollen zu tauchen. Und selbst falls Du gerade keinen Zugang zu derartigen Freunden haben solltest, kannst Du in dieser Zeit Deine Komplexität steigern. Wir befinden uns nämlich, nach meiner Überzeugung, in der spannendsten Epoche, die die Menschheit bisher erlebt hat.
Vor einigen 100.000 Jahren entfernten wir uns von der Schwarmintelligenz und entwickelten individuelle Intelligenz. Mit der Entstehung von Kulturen vollzogen wir zumindest teilweise den Übergang oder Prozessmusterwechsel von der individuellen zur kollektiven Intelligenz. Ein aktuelles Problem des Internets, das eigentlich räumliche Entfernungen irrelevant werden lässt und uns mit ausreichender Diversität versorgt, besteht darin, dass es uns bisher nur begrenzt zusammenbringen kann. Im Gegensatz zu menschlichen Systemen mangelt es dem Web 2.0 an einer systemischen Bewertung. Auf der anderen Seite ist die Datenflut mittlerweile viel zu groß, um von Menschen alleine bewältigt zu werden.
Die enormen Fähigkeiten von KI in Verwaltung und Analyse riesiger Datenmengen sind unumstritten. Genau deshalb könnte uns KI dabei helfen, eine neue Art von sozialem Netzwerk zu schaffen, die auf den Prinzipien der Systemtheorie basieren. Stellen wir uns vor, wir würden für eine gewisse Zeit darauf verzichten, unsere Beiträge öffentlich zu teilen und uns von den endlosen Diskussionen und Grabenkämpfen im Internet abwenden. Stattdessen könnten wir KI unsere Beiträge zeigen. Sie könnte dann nach unbewussten und bewussten Wertemustern suchen, ohne sie zu veröffentlichen. Basierend auf unseren Wertemustern und den Mustern anderer Menschen könnte KI uns dann Personen vorschlagen, mit denen eine Interaktion die größten Möglichkeitsräume für Kreativität eröffnet.
Dieses neuartige Netzwerk wäre übersummativ intelligent und würde der menschlichen Natur eher entsprechen. Im Unterschied zu Dreier-Gruppen würden wir in und mit Clustern von Menschen arbeiten, die global und nicht nur lokal ausgewählt werden. Diese Cluster würden zwischen 162 und 252 Menschen umfassen und über individuelle Beziehungen Einzelner mit Personen anderer Cluster verbunden sein. Die KI würde auch persönliche Präferenzen berücksichtigen und somit sicherstellen, dass jeweils Creater, Broker und Owner zusammengebracht werden. So wäre jedes Individuum im Zentrum seines eigenen Clusters und würde sowohl von der individuellen als auch der kollektiven Intelligenz profitieren. Die Folgen wären mehr Zeit, persönliches Wachstum und eine unvergleichliche Steigerung von Kreativität und Lebendigkeit.
Ein weiterer, zentraler Vorteil eines solchen Netzes ist die Fähigkeit, Wertemuster frühzeitig zu identifizieren. Solche Muster können die Vorboten von Veränderungen sein, die sich Jahre später in den Einstellungen der Menschen und schließlich in ihrem Verhalten niederschlagen. Das bedeutet, dass wir mit einem solchen Instrument nicht nur im Hier und Jetzt effizienter arbeiten, sondern auch mögliche zukünftige Herausforderungen und Innovationspotenziale lange im Voraus erkennen können.
Der Erkenntnisgewinn verschaffte uns erhebliche Vorteile, sowohl bei der Problemlösung als auch bei der aus ihr hervorgegangenen Innovation selbst. Das Netzwerk würde uns als mächtiges und vor allem zeitsparendes Tool zur Verfügung stehen, um sämtliche menschlichen, drängenden Herausforderungen zu bewältigen, jenseits aller sprachlichen Barrieren. Nebenbei könnte es uns helfen, Beziehungen in einer bisher nicht gekannten Tiefe zu erleben und unser Bewusstsein kollektiv zu erweitern. Vermutlich würde es auch einfach einen unglaublichen Spaß machen, im Mittelpunkt eines auf einen selbst abgestimmten Subnetzes zu interagieren. - Und wer weiß, vielleicht fänden wir durch die harmonische Verknüpfung von menschlicher und künstlicher Intelligenz sogar den Schlüssel für den Beginn einer neuen Renaissance.
Ich bin Nemesus und ich glaube nicht an Politik, soziale Normen, Masse Mensch oder Konzerne. Du könntest Dich fragen, weshalb ich diese Haltung habe. Politik wirkt auf mich träge und inkompetent, viele soziale Normen erscheinen mir unnötig einschränkend und viel zu willkürlich, Konzerne werden erst dann echte Innovationen hervorbringen, wenn sie keine andere Wahl mehr haben, weil bisherige Strategien der Kapitalbildung dadurch beeinträchtigt würden. Es würde mich nicht überraschen, wenn sie Patente in ihren Schubladen liegen lassen, um mit ihren alten Errungenschaften Geld zu verdienen, selbst wenn die Menschheit enorm von deren neuen Innovationen profitieren könnte.
Und was die Masse Mensch anbelangt: 2014 wurde eine Studie durchgeführt, bei der Testpersonen aufgefordert wurden, fünf bis fünfzehn Minuten in einem Raum zu verbringen und über sich nachzudenken. Für den Fall, dass sie sich langweilten, stand ihnen ein Gerät zur Verfügung, das Elektroschocks abgeben konnte. Zuvor hatten alle Teilnehmer diesen Schock als unangenehm erlebt. Dennoch entschieden sich 50% der Testpersonen während der Zeit des Nachdenkens für weitere Elektroschocks. Es scheint, als ob körperliche Schmerz für diese Menschen leichter zu ertragen war als Introspektion.
Für Menschen wie mich, die Selbstreflexion dem physischen Schmerz bei Weitem vorziehen, habe ich das unerhörte Verlangen, ein soziales Netzwerk zu schaffen, das dem Attribut „sozial“ sogar gerecht wird. - Die Aussicht auf ein Umfeld, in der Menschen tatsächlich die Erkenntnisse, die sie gewinnen, auch zeitnahe anwenden können, ist einfach zu verlockend. Natürlich benötigt ein solches Projekt engagierte Personen, die diesen Weg mit mir gehen wollen. Mir ist bewusst, dass diese Menschen entsprechend entlohnt werden müssen, um sich voll und ganz auf ihre Aufgaben konzentrieren zu können.
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